«Man muss Abstand halten, auch zu sich selbst»


 SBB-Chef Benedikt Weibel und Jakob Kellenberger am 31. August 2002.

Auf einer Bergtour zur Geltenhütte im Berner Oberland tauschen sich SBB-Chef Benedikt Weibel und Jakob Kellenberger am 31. August 2002 intensiv über Literatur und Philosophie aus. (Bild: René Sollberger)

Eine anspruchsvolle Bergwanderung. Zur Geltenhütte. Nicht nur wegen des steilen Pfades, nicht nur wegen des schlechten Wetters. Jakob Kellenberger und der damalige SBB-Chef Benedikt Weibel unterhalten sich über Philosophie und Literatur. Die meisten Autoren kenne ich dem Namen nach, doch die meisten Werke habe ich nicht gelesen. Aber ich versuche zu folgen.

Dieses verregnete Wochenende bietet Jahre später den willkommenen Rahmen für das Kapitel «Bergtour mit Popper, Sloterdijk und Fontane» in meinem Buch (Jakob Kellenberger – Zwischen Macht und Ohnmacht, NZZ Libro). Kellenberger hat den SBB-Chef 1989 bei den Verhandlungen mit der EU über den Transitvertrag zum alpenquerenden Güterverkehr kennengelernt.

Weibel: «Irgendeinmal gingen wir dann zusammen zum Mittagessen, was wir immer wieder getan haben, solange Jakob beim Bund arbeitete.»

Literatur ist für Kellenberger ein Lebenselixier: «Literatur und Philosophie beeinflussen, was ich wichtig finde, wie ich handle, wie ich in der Welt stehe.» Auch seine «enorme Abneigung gegen Schwarz-Weiss-Denken» hat sich durch Studium und Lektüre gefestigt. «Aus der Literatur und der Philosophie weiss ich, dass das Leben aus lauter Nuancen besteht.» Zur Erläuterung verweist er auf den deutschen Philosophen Hans-Georg Gadamer, international bekannt geworden durch sein Werk Wahrheit und Methode. Er hat den Diplomaten stark beeinflusst:

Kellenberger: «Um zu einem möglichst sauberen, unabhängigen Urteil zu kommen, muss man Abstand halten, auch zu sich selbst.»

«Das ist nicht einfach, man schafft das wohl kaum vollständig, aber man darf sich nie gehen lassen. Man darf sich nicht von Stimmungen gefangen nehmen lassen und sich dann in seinem Urteil täuschen. Man muss auf Distanz zur Stimmung gehen und beobachten. Das mache ich oft, ganz bewusst, was auch eine gewisse Einsamkeit bedeutet, ein gewisses Alleinsein. Das ist der Preis der Freiheit.»

Kellenberger und Weibel verstehen sich gut.

«Eigentlich hätten wir doch gestern Abend einen Jass klopfen können, das hätte ich fürs Leben gern gemacht», sagt Kellenberger nach der zweitägigen Wanderung. «Ich doch auch! Warum hast du nichts gesagt?», entgegnet Weibel.

Mehr in meinem Buch, bei NZZ Libro, Amazon oder in jeder guten Buchhandlung (224 Seiten, 32 Abbildungen, ISBN 978-3-03810-440-7, Preis: CHF/EUR 34.00, als E-Book 22.00).

 


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